Moscheles, Ignaz (1794-1870)
Eigenhändiges Empfehlungsschreiben für seinen ehemaligen Schüler Friedrich Gernsheim (1839-1916), Leipzig d. 11. Jannuar 1864
Leipzig, 11.01.1864
14x22 cm, 1 Seite auf Doppelblatt.
Autograph recommendation by Ignaz Moscheles for his former student Friedrich Gernsheim (1839-1916). - Gernsheim, son of a wealthy Jewish doctor and a musical child prodigy, became one of the most important German composers of the Romantic era in the second half of the 19th century. Although being part of the conservative music faction and befriended with Brahms he opened his musical mind in his later years to modernism and supported Gustav Mahler. - His music became forgotten in the 20th century due to the boycott of Jewish composers in the era of Nationalsocialism, but is now discovered again. - After studying in Leipzig with Moscheles and others Gernsheim moved to Paris, where the young musician continued his studies 1855-1861 and met Rossini, Liszt, Rubinstein, Lalo, Heller, and Saint-Saëns. 1861, 22 years old, he returned to Germany to become music director in Saarbruecken, following his friend Hermann Levi. His attempts to get better music positions in Mainz and Aachen failed due to antisemitic prejudices there, as his close friend and fellow composer Max Bruch (1838-1920) told him in two letters 1862. 1865, with the help of this recommendation by Moscheles, Gernsheim could finally get a satisfying position in Koeln at the Conservatory, led by Ferdinand Hiller. 1874 he became general music director in Rotterdam, 1890 professor in Berlin.
"Ich bezeuge hiemit, dass Herr F. Gernsheim in den Jahren 1852-54 schon als Knabe große Begabung zur Tonkunst zeigte, als er durch meinen Privat-Unterricht, und im hiesigen Conservatorium seine Studien machte, und sich mit bestem Erfolge ausbildete. Er hat seitdem in der praktischen Kunst, Komposition, und Leitung von Sing-Vereinen, solche Fortschritte gemacht, dass ich ihn für die Besetzung derartiger Stellen hierdurch bestens empfehlen möchte. I Moscheles Leipzig d. 11ten Januar 1864" - Friedrich Gernsheim (1839-1916), aus einer wohlhabenden jüdischen Arztfamilie in Worms stammend, trat bereits früh als Wunderkind auf und wurde (wie sein Freund Max Bruch 1838-1920) von Ferdinand Hiller gefördert. Beide studierten auch (zu unterschiedlicher Zeit) in Leipzig u.a. bei Moscheles. Nach seinen jugendlichen Studien und einem frühen langen Aufenthalt in Paris (1855-1861) kehrte Gernsheim nach Deutschland zurück und trat - in der Nachfolge von Hermann Levi - seine erste Stelle als Leiter des Singvereins und Musikdirektor in Saarbrücken an. Eine Bewerbung in Mainz 1862 und eine weitere im selben Jahr in Aachen schien aufgrund der jüdischen Herkunft von Gernsheim aussichtslos, wie Max Bruch, der hier offensichtlich gute Informationen dazu hatte, dem Freund in zwei Briefen 1862 empört mitteilt. Mit dem Empfehlungsschreiben von Moscheles konnte Gernsheim schließlich seine erste bedeutendere Stelle in Köln 1865 am Konservatorium unter Ferdinand Hiller antreten. Nach seinen Kölner Jahren erfolgte 1874 die Berufung nach Rotterdam, 1890 nach Berlin. - Gernsheim zählt zu den bedeutendsten Musikern der deutschen Spätromantik. Mit Brahms befreundet und in seinen späteren Jahren trotz seiner konservativen Grundhaltung auch der Moderne gegenüber aufgeschlossen (Gustav Mahler), wurde Gernsheims "jüdische" Musik in der Zeit des Nationalsozialismus verboten und erst heute wieder entdeckt.